Wie man beim Eierholen an der Algarve sein Kanu verlieren kann

Eine Schilderung von Michael Will

...dabei hatte der Tag so schön angefangen: die Sonne lockte uns schon am frühen Morgen aus unserem Camping-Bus, und eine steife Brise sorgte dafür, dass die 31°C an der portugiesischen Südküste erträglich waren. Das Unheil begann erst, als meine Freundin nach einem kurzen Blick in die Kühltasche feststellte, dass Butter, Eier, Brot und diverse andere Kleinigkeiten ausgegangen waren und dringend Nachschub benötigt wurde.
Die Schwierigkeiten dieser bestanden darin, dass die Bucht, an der wir seit einigen Tagen standen, zwar eine Menge Sand, Steine und Schlangen aufwies, aber kein Geschäft, um oben erwähnte Nahrungsmittel zu kaufen. Es galt also, mit dem Wagen nach Lagos zu fahren, wollten wir nicht in den nächsten Tagen am Seetang knabbern und Salzwasser schlürfen.
Jedoch war es mit der Fahrt nach Lagos so eine Sache. Den 5km langen Zufahrtsweg zur Bucht hatten wir unter äußerster Beanspruchung der Stoßdämpfer und Achsen so eben nur geschafft, und dass dabei nur die Bratpfanne und zwei Tassen aus der Halterung gesprungen waren, konnte als Glücksfall bezeichnet werden. Gegen diesen Eselspfad erscheint noch die Zufahrtsstraße zum 0KV-Heim Edersee als Schnellstraße.
Zum anderen wollten wir uns ungern von unserem Standplatz entfernen, denn trotz der Abgeschiedenheit fanden doch noch einige andere Camping-Busse den Weg zur oben erwähnten Bucht, so dass bei unserer Wiederkehr unser einmalig schön gelegenes Plätzchen wohl besetzt gewesen wäre.
Ich beschloss deshalb, mit meinem Polyester-Einer einkaufen zu fahren, was sich aufgrund des bewegten Atlantiks als gar nicht so einfach erwies. Doch der Hunger sowie die mahnenden Worte des Vereinswanderwartes im Hinterkopf, genügend Kilometer aus dem Urlaub mit nach Hause zu bringen trieben mich vorwärts.
Von der Fahrt selber gibt es nichts außergewöhnliches zu berichten, abgesehen davon, dass sich einige Schwimmer am Strand von Lagos irritiert die Augen neben, als neben ihrem Liegestuhl plötzlich ein Kanu hochgezogen wurde, dessen Besitzer sich mit Badehose, Brustbeutel und zwei Plastikbeuteln bewaffnet in Richtung Zentrum auf den Weg machte, um nach 20 Minuten mit prall gefüllten Tüten wieder die Rückfahrt anzutreten. Einige schafften es gerade noch, mir die Streckenbeschreibung in Form eines: „8 Tage geradeaus, die zwölfte Boje links ab" nachzurufen, bevor sie sich in ihre Gummiente setzten, um weiterhin am Ufer ihre Kreise zu ziehen. Wieder an unserer Bucht angekommen hatte ich große Mühe, das Ufer wegen des starken seewärts blasendes Windes zu erreichen. Dieser Tatsache, verbunden mit der Feststellung, dass inzwischen Flut eingesetzt hatte, hätte ich doch besser mehr Beachtung schenken sollen; wahrscheinlich wäre dann auf der Rückfahrt nach Deutschland mein Dachgepäckträger ebenso voll gewesen, wie auf der Hinfahrt. Stattdessen machte ich mir Gedanken darüber, ob zu Thunfisch mit Reis und Salat besser lauwarmes Bier oder dampfender Rotwein passe, zog am Ufer angekommen mein Boot etwas auf die Steine, band die Bootsleine locker um einen Stein und machte mich mit den beiden Tüten auf den Weg zum ca. 50 m entfernt stehenden Camping-Bus. Das Bier und den Wein wollte ich später holen und dabei auch gleich das Boot „flutsicher" deponieren.
An dieser Stelle wird derjenige Leser, der an der deutschen Nord- oder Ostseeküste beheimatet ist, wohl schon interessiert die Augenbrauen heben, aber als Landratte, die allenfalls das Frühjahrs-Hochwasser der Ruhr, nicht aber die Geschwindigkeit von Ebbe und Flut richtig einzuschätzen vermag, wähnte ich mein Boot für die erste Viertelstunde in Sicherheit, machte es mir im Campingstuhl bequem und beaufsichtigte die Tätigkeit des Gaskochers, der bei dem starken Wind auszugehen drohte.

Kanu adé!

Als ich kurze Zeit später einen Blick in Richtung Boot warf, bemerkte ich erstaunt, dass es nicht mehr auf den Steinen lag, sondern vom Wind gebeutelt, bei straff gespannter Bootsleine, auf den Wellen tanzte. Diese Feststellung konnte mich jedoch gar nicht beunruhigen, denn schließlich war das Boot ja angebunden, Trotzdem machte Ich mich auf den Weg zum Ufer — jedoch in aller Ruhe, denn bei 33 Grad soll man ja nichts überhasten — um das Boot höherzuziehen. Auf dem Weg dorthin ging dann plötzlich alles ganz schnell: Plötzlich ging ein Ruck durch die Leine, sie war vom Wasser hochgedrückt worden und hatte sich vom Stein gelöst. An und für sich hätte nun auch mit mir alles ganz schnell gehen müssen, aber die glitschigen Steine hinderten mich daran, so schnell wie nur eben möglich die letzten Meter zum Boot zurückzulegen. Außerdem hatten wir ja Flut, und die treibt ja bekanntlich alles, also auch mein Boot, zum Ufer zurück — dachte ich bis dahin wenigstens immer. Gedacht hatte ich dabei jedoch nicht an den Wind, denn plötzlich betrug die Distanz zwischen mir und dem Kanu nicht mehr nur noch 10 sondern schon ca. 20 m, und ich war nicht zurück, sondern nach vorne gelaufen, dessen war ich mir jetzt sicher.
Aber keine Panik, schließlich kann man als Kanute ja schwimmen. Also Uhr und Brille ablegen — aber nichts übereilen, schließlich haben wir 33 Grad im Schatten — und dann rein ins Wasser. Aber nun war der verdammte Kahn schon 30 m von mir entfernt und so viel ich mich auch abstrampelte, die Entfernung zwischen uns beiden wurde immer größer statt kleiner; ein Surfbrett hätte kaum schneller sein können. Am Ende hatte ich selber Mühe, bei dem starken Wind noch ans rettende Buchtufer zu gelangen, so mächtig wurde ich selber hinausgetrieben.
Hatte ich vorher die Schwimmer mit ihren „Gummienten" belächelt, jetzt wäre ich froh gewesen, wenn einer in der Nähe gewesen wäre, um mein fortschwebendes Boot wieder einzufangen. Aber so nach 30 Minuten war am Horizont nur noch ein kleiner roter Punkt auszumachen, und am 12.7.1979 hatten 1 000 DM in Form von Boot, Paddel und Spritzdecke aufgehört, meinem Verein monatlich 3,- DM an Liegeplatzgebühr einzubringen.
Wieder in Essen angekommen, klopften sich die Kameraden vor Vergnügen auf die Schenkel, und der Wanderwart wollte von meinem Vorschlag, alle von meinem Boot inzwischen zurückgelegten Kilometer ins Fahrtenbuch einzutragen, nicht viel wissen.
Übrigens: Zum Mittagessen gab es an diesem Tag weder warmes Bier noch dampfenden Rotwein, sondern heißen Tee mit Zitrone.

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